Vom Ursprung der Seele


Entwurf der Fundamentaltheologie im Werk Anselms von Canterbury

Harald Erben, in: FIDES ET RATIO, Krakau 2010 

Hrsg. Stanislaw Bafia, Marek Urban 

Einleitung

In den philosophisch-theologischen Hauptwerken Anselms von Canterbury1 gelangt die vernünftige Überlegung durch ihr Fragen nach dem Wesen Gottes als der Wahrheit und der Güte, als Gerechtigkeit und Weisheit selbst, als die Liebe und die Schönheit zur Einsicht, daß die Vernunft selbst mit jedem dieser Gedanken von Gottes Seinsweise diese ihm zuerkannten Wesensbegriffe als für die Vernunft selbst und auf eine für ihr Verhalten maßgeblichen Weise der Bedeutung angenommen haben muß. Was sie zu erkennen und zu erschließen sucht, entdeckt die sich besinnende Vernunft als in dem gegründet, nach dem sie fragt, was es und auf welche Weise es sei. Die Seinsweise des Göttlichen ist für die denkende Vernunft nicht anders zu vernehmen als in der Rückbesinnung auf das, was für sie überhaupt im Vermögen, einen Gedanken an das Ursprüngliche, nicht selbst noch Abgeleitete ursprünglich ist. Sie bildet so die sich mitteilende Einsicht aus, daß wir in jeder vernünftigen Erwägung von Gottes Sein und Wesen Begriffe in Gebrauch nehmen, was Gott selbst sei, die Grund und Maß für das Vermögen bedeuten, das schon in Gebrauch ist, um auf begründende Weise zu Erkenntnissen zu gelangen, Erwägungen zur Entscheidung zu bringen und so die Suche nach verbindlichen Antworten für die sich ihr als Vernunft aufwerfenden Fragen auf rechte und angemessene Weise zu leiten.

Das Monologion setzt mit einer Reflexion auf das Maß des für Gut Erachtens ein und führt die Überlegung mit jener außergewöhnlichen, aber nicht vorbildlose Formulierung des ‘melius ipsum quam non ipsum’ (M 15) in die teilnehmende Entscheidungshaltung der je eigenen Urteilskraft, ohne die keine Annahme des Maßes im Grund der eigenen Denk- und Vernunftvermögen möglich ist. Das Proslogion verknüpft diese entscheidungsreflexive Beurteilung mit einer Erkenntnis der Grenze des denkenden Verstandes, wenn vermeint wird, das Sein Gottes nur im Verstand durch dessen einbildnerisches Denkens halten zu können. Wie die Aufnahme der Erkenntnisformulierung für die Urteilskraft im „melius esse quam non esse“ des 5. Kapitels im Proslogion verdeutlicht, muß der mit der Grenze des Verstandesvermögens verbundene Überschritt zur Anerkenntnis des Seins Gottes mit der Erkenntnis des Wesens verbunden bleiben, da ohne Erkennen dem Denken keine Differenz zum Gedachtsein gegeben und gehalten werden kann.

Die für unser „intelligere“ immer in Verbindung mit Weisen der beurteilenden Selbsterkenntnis von Verstandes- und Vernunftvermögen bedingte Gotteserkenntnis kann keineswegs in Absicht auf einen bloßen Beweis des Seins vollzogen werden. Sie fordert vielmehr notwendig für die Unterscheidung des „mehr“ als des nur im Verstand Gedachtseins eine Erkenntnis der Wesenheit Gottes, mithin die Unterscheidung von Denken und Erkennen im Bewußtwerden des Verhaltens von intellectus und ratio zu Gott selbst durch den Begriff, den wir im Ansatz durch das quo maius cogitari non possit des Proslogion als mit dem insipiens gemeinschaftlich geteilt unterstellt und allen angesonnen haben, die mitdenken, daß diese Bestimmung gilt und durch alle möglichen Begriffsbestimmungen, was Gott sei, durchgehalten werden kann. Mit ihm ist darum zugleich eine Mehrheit von Begriffen auf nicht gegenstandsbezogene Weise als ursprünglich vereinigt zu erkennen und solches Erkennen ist nur der Vernunft in Teilhabe an der Erneuerung der ursprünglichen Bestimmungsgründe für die Vermögen der Seele möglich. Die Seele, als die Anrede im Proslogion auch als je mit Angesprochene tragend, fehlt als Thema im Monologion fast ganz; doch es bereitet dieses vorausgehende Werk durch seine Besinnung auf die Wesenheiten der göttlichen Natur und die Einsichten in die eigenen Verfahrensweisen der Gotteserkenntnis die Entsprechungsbewegung für die Seele, wie sie das Proslogion anzeigt, auf eine unverzichtbare Weise vor.

Das ‘aliquid quo maius cogitari non potest’ des Proslogion gibt die Bestimmtheit des Gottesbegriffs für das Denken so an, daß sie nicht nur jedem vernünftig Denkenden als Gott entsprechend einleuchten kann, sondern auch grundsätzlich vereinbar ist mit der Weise, wie Gott sich in den Heiligen Schriften zu erkennen gibt. Wir halten dies nicht nur für die Ansicht Anselms, die der Aquinate sich erlaubte für fragwürdig zu erachten, in dem er sich für die „Erstursache“ als Grundbegriff des Gottesgedankens entschied2, sondern glauben zeigen zu können, daß es mit der Verkündigung des Neuen Testaments und den Grundzügen des Trinitätsdogmas wie des von diesem her sich ausbildenden Personbegriffs (hin zur Würde des Menschen als Person) in der Tat zusammenstimmt. Die Vernunftbegründung erfordert in ihrer Rechenschaftslegung darum die Unterscheidung des Ursprungs (als Idee) von der Ursache (als Kategorie), mithin der Vernunft in ihrer Reflexionsfähigkeit zum Verstand in seinem Gegenstandsbezug.

Die entscheidungsreflexive Formulierung ‘melius ipsum quam non ipsum’ des Monologion konnte für das Begreifen des einen Wesens Gottes, das zu einer Vielheit führte, die Einheit noch nicht zureichend sichern. Für diese Einheit stand mit der im Vergleich zu Augustins deutlicheren Abgrenzung gegenüber dem Substanzbegriff der „individuelle Geist“ (M 27 ). Aber wie die Einsichtsbewegung der ratio die Wesensbegriffe als Grund und als Maß im Geist so aufzunehmen vermag, daß die in M 17-26 durchgeführten Begrenzungen des bestimmenden Intellekts einbezogen sind, und also die je beteiligten Vermögen und Kräfte der Seele ihr Maß im sich Ausrichten auf Gottes Wesen als Grund (d.i. als Prinzip3) erfahren und empfangen, dies konnte sich erst das Proslogion zur Aufgabe nehmen. In ihm stellt diese sich von einem Einheitsgedanken her, der sich in jenem „unum argumentum“ zur Geltung bringt, das die ratio in Gefilde des Verhaltens für die Gott ansprechend sich besprechende Seele verstrickt, in die geführt zu werden die nur nach einer Logik des Beweises suchende rationalistische Vernunft sich nicht vermutet hätte. Nur dem, der auf dem Standpunkt eines nur vernünftigen Verstandes beharrt, müssen die personalen Formen der Anrede wie das einleitende Gebet als bloßes Beiwerk des Gottesbeweises erscheinen.

Nun war das ‘melius ipsum quam non ipsum’ weder eine Regel, die man formal anwenden, noch ein deduktives Prinzip, von dem man etwas ableiten kann. Vielmehr ist in ihr bereits die Vernunft in ihrer Urteilskraft als ursprünglich praktische in Anspruch genommen, also darin, wie sie selbst Verantwortung für die Seelenführung im Geist übernimmt und darin sich als Vermögen nur entsprechen kann. Ohne dieses sich als Vermögen Entsprechen, kann die Vernunft werde zu ihr eigentümlicher Erkenntnis gelangen noch Einsicht geben. Von ihr selbst also in dieser begründenden Führungsverantwortung aus der Annahme von Grundes und Maß immer auch, aber nie nur für sich selbst, erfahren wir sehr viel mehr durch die Komposition als Werk denn durch einzelne Sätze, die ja primär durch das Verstandesvermögen gebildet und aufzufassen sind. Dem Prinzip und damit der Einheit von maßgebenden Bestimmungsgründen folgend, verhält die ratio sich selbst und dem einzusehenden Wesen Gottes entsprechend zwar mit denkendem Verstehen, aber nur in Einheit mit der die Grenze seiner Bestimmungskraft reflektierenden Urteilsvermögens. In Unterscheidung zum gegenstandsbestimmenden Urteilen des Verstandes muß für die Gotteserkenntnis der Vernunft als mit Selbsterkenntnis vereint die Wesenseinsicht in personaler Orientierung individuell vernommen und gemeinschaftlich annehmbar sein.

Die Vernunfterkenntnis mündet so in ein Entsprechen, ohne die der Gedanke an Gott wie auch an sich selbst keine Einheit, keine Gültigkeit seines Gehalts erfahren kann. Die vom unum argumentum für die Unterscheidung vom bloßen Gedachtsein verlangte Einsicht kann, da Gottes Wesen kein Gegebenheit als ein etwas haben kann, ohne diese Entsprechung nicht gelingen. Ohne sie mangelt es dem als notwendig durch Vernunft gedachten Sein Gottes an Empfindbarkeit seines Daseins und damit genau jener Differenz, die das Mehr als das Gedachtsein dem Bewußtsein muß zu Empfangen geben können – oder anders gesagt: das Mehr als das Gedachtsein, kann nicht nur gedacht sein. Darum ist die Thematisierung des „Warum empfinde ich dich nicht?“ in der zweiten Hälfte des Proslogion so wichtig und darum bringt das nicht gegenwärtig Empfinden Können der Schönheit des – seinsidentischen – Wesens eine Unordnung und Unruhe in die Seele (wiederum Anfang K 18).

Die Grenzen des urteilend verständigen Denkens lassen sich schon im Monologion von den Aussagemöglichkeiten her mitvollziehen: daß Gott gerecht oder weise genannt werden kann, wie es dem Kriterium des melius ipsum quam non ipsum entspricht. Dies müssen in die Sätze, Gott ist die Gerechtigkeit selbst, ist die Weisheit selbst, verwandelt werden, und es verliert damit das Urteil des Verstandes seinen Gegenstandsbezug. Dies markiert zunächst eine Grenze der Übersetzbarkeit der anselmischen Argumentation in Operationen formaler Logik4, denn diese ist notwendig gegenstandsbezogen. Umgekehrt wird so deutlich, wie entscheidend die Begriffsarbeit für die Verfugungen der Argumentation als einer vernünftigen ist. Daraus ergibt sich weiter einer der entscheidenden Unterschiede zur thomistischen Verfahrensweise, in der Gott, bei aller Erörterung der Identität von Wesen und Sein immer eine Art von Gegebenheit behält und nie wirklich die Form eines etwas verliert. Im Proslogion dagegen wird das im unum argumentum gebrauchte „aliquid“, das den Ansatz des „im Verstand Seins“ bedingt, zum Gegenstand des Anstoßes und im zentralen 15. Kapitel mit der Einsicht in das Undenkbarsein überwunden und so eine erste Entsprechung im Sprechen vollzogen, das ja von Anfang an ein Anreden Gottes als Person war, unabtrennbar von dem sich selbst Besprechen in der Seele.

Gott als die Wahrheit selbst zu erkennen, beinhaltet die Wahrheit als Maß anzunehmen und schließt die Beurteilungseinsicht ein, die für das Denken sich unbedingt geltend macht, daß es, was immer es als das denkt, was nicht nur im Gedanken es selbst sein kann, ein Erkennen muß haben können. Die „similitudo verbindet letztlich mit dem Göttlichen und empfängt von dort ihr Maß.“4 Maß für die Entsprechung der Seele im Ganzen ihres Verhaltens als die Seele eines Menschen ist nur in Einheit von Wahrheit, Güte und Gerechtigkeit und Weisheit möglich. Noch im Proslogion sieht Anselm sich gezwungen, die verschiedenen Wesensbestimmungen der Einheit nacheinander abzuhandeln. Die bloße Aufreihung aber reicht nicht einmal für das Halten der einzelnen Begriffe in Gedanken aus. Daß sie miteinander verflochten sind, zeigt später am Verhältnis von Wahrheit und Gerechtigkeit das kleine Werk De veritate. Dort findet sich im 12. Kapitel auch ein entscheidender Hinweis zur Verfahrensweise der Bestimmbarkeit von Prinzipienbegriffen. Wahrheit, Gerechtigkeit und rectitudo definieren sich wechselseitig, heißt es da. Aber schon im 18. Kapitel des Proslogion begegnen wir einer wichtigen, aber kaum recht verstandenen Formulierung, darin in Abwehr des Denkens nach der Vorstellung von Teilen und Ganzem (durch keinen Verstand teilbar: nullo intellectu divisibilis) gesagt wird, daß „alle eines sind und eine jedes von ihnen das Ganze ist, das Du bist.“ Entscheidend ist nun, daß dies nicht auf eine an sich unterschiedslose Einfachheit oder ein neuplatonisches Eine nur zurückweist, sondern den Anspruch in der Frage aufrecht erhält, wie das Viele in einer Allheit „Dir, dem Herrn“ meiner Seele in Einheit zugehört, wie Du diese Einheit von unterscheidbaren auf eine unzusammengesetzte und unteilbare Weise bist. Die Einheitsform muß also Identität und Unterscheidung binden und Anselm denkt sie in Strukturen der Teilhabe und der Stellvertretung eines jeden als das Ganze und des Ganzen als ein jedes.

Es läßt sich nun zeigen, daß diese Weise der Einheit nicht spekulativ gelöst werden kann, sondern allein mit einem Verhalten, darin ein jedes als Maß für die Verbundenheit so angenommen wird, daß die grundlegende und ursprüngliche Einheit als Grund des Entsprechenkönnens in einer similitudo durch ein jedes füreinander zur Geltung kommt. Die Einheitsweise muß also die einer Gemeinschaftlichkeit sein, wie es dem Begriff des Geistes schon vom Evangelium des Reichs Gottes entspricht. So erfährt die Seele in ihrem aus der Unteilbarkeit denkenden und erkennenden Geist sich herausgefordert und ermöglicht, mithin geliebt und in ihren Vermögen vom Grund her geachtet und vermag so die Einheit des Wesens Gottes zu wahren, die das Denken nicht aus eigenem Vermögen der Bestimmung von etwas als etwas allein fassen und wahren kann.

Jede in einem besonderen Begriff zu erkennen aufgegebene Wesenheit ist als einzelne ganz (totum) und zugleich (simul) mit ihm, dem Wesen, das Gott selbst ist, identisch (M16 und17 sowie P18). Entsprechend der Inadäquatheit des Urteilsvermögens des Verstandes ist die Form der Bestimmung der Begriffe von so sich findenden Gottesattributen der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Güte, der Weisheit selbst usw. nicht wiederum durch Regeln anzugeben, die in formal faßlichen Begriffshierarchien festgestellt werden können. Das verleiht der Problemstellung der Einheit der Vielheit von nicht wie Teile und Ganzes sich verhaltenden Wesensbegriffen eine sachlich methodische Nähe zur Verflechtung der Ideen als für das sich Ordnen und Reinigen der Seelen vermögen paradigmatisch bei Platon. Mit ihr läßt sich die Aufnahme der trinitarischen Gotteserkenntnis von Augustinus her – in Abkehr vom Thomismus, der die Verstandesform der Denkhaltung nicht grundlegend kritisiert, sondern in der Analogielehre noch ganz in der Grundhaltung des Vergleichs von Gottes Sein mit Verhältnissen unter Seiendem verbleibt – durch Anselm neu durchdenken.



Ursprung der Seele

«Der Palmsonntag war herangekommen, und wir saßen wie gewöhnlich um ihn herum. Da sagte einer von uns zu ihm: „Hochwürdiger Vater, wie wir gehört haben, willst du diese Welt verlassen und an die österliche Kurie deines Herrn gehen.“ Der Kranke entgegnete: „Ja, wenn es so sein Wille ist, gehorche ich ihm gern. Wenn es ihm aber lieber sein sollte, daß ich wenigstens noch so lange bei euch bleibe, bis ich die Untersuchung über den Ursprung der Seele, die ich mit mir herumtrage, vollenden kann, würde ich es dankbar annehmen, weil ich nicht weiß, ob jemand nach meinem Tod diese Frage lösen wird.“ 5

Eadmers Bericht läßt erkennen, daß der Ursprung der Seele für das Lebenswerk, auf das Anselm zurückblicken konnte, eine wesentliche, aber durch ihn nicht zureichend ausgearbeitete Fragestellung war. Es ist diese Untersuchung bis heute für die Theologie ein Desiderat geblieben. Anselm deutet in seinen letzten Worte zugleich an, daß seine Arbeiten und Einsichtserfahrungen ihn in diese Aufgabe gestellt haben und auf besondere Weise befähigt hätten, ihre Frage zu lösen, wenn ihm die Zeit dazu geschenkt worden wäre. Es ward ihm dies aber nicht mehr selbst vergönnt. Jeder andere ihm Folgende, nimmt man sein Wort ernst, wird Anselms zentrale Einsichten im Zusammenhang seines uns überantworteten Lebenswerks zum Ausgang nehmen müssen, um jene Untersuchungen wiederaufnehmen und dem beitragen zu können, was zu vollenden Anselm nicht mehr vermochte. Durch die Rede an die ihn umgebenden Schüler und Mitbrüder wird uns zum Vermächtnis, was zum Lebensende seinen Geist noch in Verantwortung vor Gott und den Menschen hielt.

Anselm spricht an jenem Palmsonntag des Jahres 1109 von der Seele im Verhältnis ihres Ursprungs. Es ist aber mit der Thematisierung des Ursprungs von Seele als solcher je die eigene Seele einbezogen, und nur vor ihrem Auge kann sich in einer Haltung der Stellvertretung jene Frage nach dem Ursprung mit den Gedächtnissen des Gedachten und Erfahrenen sich aufspannen. Umgekehrt bleibt so jede mitfragende Seele im geistigen Verhalten zum Ursprung als dem ausgerichtet, den sie selbst nur wie ihresgleichen hat. Sie wird so einem privativen Selbstverhältnis enthoben und erfährt erfährt so das Geistige dieser ihrer sich besinnenden Tätigkeit als gemeinschaftlich in Teilhabe aus stellvertretender Verantwortung. Die Seele ist sich so mit Vernunft und Urteilskraft in ihren Vermögen des Ursprungsverhaltens und der Grundverhältnisse nicht thematisch, als wäre sie einem gegebenen Gegenstand gleich zu betrachten und durch Eigenschaften oder die Angabe von sie zusammensetzenden Kräften oder Materien zu bestimmen. Dies ist durch die Unterscheidungsarbeit der Kirchenväter von Tertullian bis Augustinus weitgehend vorbereitet. Geleitet vom Gedanken an ihren Ursprung, fragt ihr Geist aber auch nicht nach einer Ursache, bewegt sich überhaupt nicht mehr in Kategorien des Verstandes und kettet sich darum auch nicht in der Vorstellung des Gewordenseins durch Analogien in ein handwerkliches Geschaffenwordensein, braucht aber die Unterscheidungskraft von diesen.

Das Monologion unterscheidet auch dafür grundlegend in den Kapiteln 7 – 9 das dem Ursprung eigene Grundverhalten als ein „durch sich“ (per se) von der Vorstellung des „aus sich“.6 Das „aus“ erfährt mit der Bindung an das Nichts (ex nihilo) eine Wendung, die jede zeitliche Vorstellung an ein Werden in der Zeit wendet, also das Denkverhalten selbst im Verhältnis zum Ursprung gegen sein Vorstellungsvermögen zurückwirft und an das Seinkönnen als etwas bindet. Diese Umwendung im Denkvermögen muß die Seele miterleiden, also durchtragen, wenn sie nur irgendetwas als durch den schöpferischen Geist aus nicht und nicht aus etwas „geschaffen“ denkt.

Wie sich durch das gesamte Werkgefüge von Anselm hindurch immer wieder erkennen läßt, gehört zu diesem Mitvollziehenkönnenmüssen der Grenze des Vorstellungsvermögens im Denken des Ursprungs von Geschöpflichem überhaupt jene Unabtrennbarkeit von Wesensbegriff und Selbstsein, die das Verhältnis zum Grund von Sein an das Wassein bindet, das in Begriffen nur in deren maßgrundgebenden Bedeutung gehalten werden kann, also im Verhalten von Vermögen der Seele angenommen sein können muß. Auch diese begegnet in verschiedenen Formulierungen bereits im Monologion, wenn das vom Verhältnis des ex zu unterscheidende per se nie auf eine bloße Existenz, sondern immer auch auf das Wassein mithin auf eine bestimmte Weise des Selbstseinkönnens bezogen ist, wie es der Ursprung in der Ebenbildgabe und der Ermöglichung von Vermögen der Seele erfordert. Von diesen, wie sie Einfachheit gegenüber dem Teilbaren der Körper im Raum auszeichnet, aber in sich gegliedert sind, sagt Augustinus:

Was das geistige Geschöpf, wie etwa die Seele, betrifft, so ist es zwar einfacher als der Körper. Ohne diesen Vergleich mit dem Körper ist aber auch die Seele vielfältig, nicht einfach. Einfacher als der Körper ist sie nämlich deshalb, weil sie sich nicht durch stoffliche Masse über einen bestimmten Raum hin ausdehnt, sondern im ganzen Körper ganz und auch in jedem seiner Teile ganz ist.7

Wir werden mit dieser Formulierung zugleich an das Verhältnis der Wesenheiten des Göttlichen erinnert, wie es Anselm in P 18 kennzeichnet, und bewegen uns bereits in jenem Ebenbildverhältnis, für das die Vermögen der Seele durch ihre Entsprechung allein eine Wesenserkenntnis des Göttlichen ermöglichen

Nachdem Anselm in M 8 die jene Entsprechungserkenntnis vorbereitende creatio ex nihilo durchdacht hat, verweist er in M9 auf die ratio, den Vernunftgrund des schöpferischen Geistes, als Grund und als Maß gebend. Als Grund ist die ratio das Maß dessen, was durch sie erwirkt wird: „ad rationem facientis, per quam et secundum quam fierent.“ Dieses „durch“ und „gemäß“ im Verhältnis zur Vernunft dessen, den wir als ursprünglich schaffend und das Selbstsein im Wassein ermöglichend annehmen, wird als das Unabtrennbare von Grund und Maß in jeder Bezugnahme auf Vernunft und ihre Begründungsart die folgenden Ausführungen zum Werkzusammenhang Anselms durchziehen und sich in allen Weisen der Vernünftigkeit im Glaubensverhältnis zur Geltung bringen.

creatio ex nihilo

Der Einwand „vom Nichts her“ mit dem M 8 anhebt, erfolgt im Gedanken des allein durch sich, per se, Hervorbringens, das ohne „Beihilfe zum Bestand“ muß alles, was ist, schöpferisch erwirken können. Da sie weder aus etwas anderem noch aus sich gleich einem Stoff, sondern nur und allein durch sich wirkt, ist die Schöpfung in ihrer höchst zu schätzenden Weise vom Gedanken der Schöpfung „aus nichts“ begleitet. Der Einwand „vom Nichts her“ ergibt sich, weil nichts aus nichts werden zu können dem Verstand sich für seine Erfahrung befestigt hat. Es ist ein Einwand gegen das „sola per seipsam produxit ex nihilo“, den das Nichts ganz im Sinne des zeitbezogen verständigen Denkens erhebt und die Vernunft für den Gedanken an den Ursprung zu einer begrifflichen Unterscheidung zwingt.

Wenn nun für den schöpferischen Ursprung der Dinge das Nichts keine Hilfe zu etwas sein kann, wie kann man sich überzeugen, daß aus nichts etwas erwirkt wird? (persuadeatur, quia ex nihilo aliquid efficiatur?) Aus Nichts gemacht, kann nur heißen, nicht aus etwas. Anselm gibt dies nun mit einer Analogie zu Geschehnissen der Verbesserung, Berichtigung und Heilung mit einem Zeitverhältnis für eine Seinsweise an, die ohne Seele gar nicht der Unterscheidung von Unselbstgemäßheit und Gemäßheit für sich fähig wäre. So wird der Schöpfungsgedanke mit dem ex nihilo an eine vorzugsentscheidende Beurteilung in Selbstverhältnissen gebunden. Zugleich sind wir an Strukturen jener Schöpfungsdarstellungen erinnert, die regelmäßig mit jenem „als noch nicht war“ anheben.

Das Nichts, aus dem etwas durch den Schöpfergeist hat werden können, ist nicht etwas, aber mit dem in der Rückwendung unabtrennbaren Verhältnis zu etwas in seiner Washeit, das bereits als es selbst sein zu Können als Wirklichkeit gedacht ist, wird das Nichts als dessen Nichtseinkönnen „bestimmt“. Das Nichts kann nur als Nichtsein von etwas im Hinblick darauf gedacht werden, daß etwas geworden ist, was es ist, und das, was durch sich schafft und hat werden lassen, ist gar nicht anderes als im Begründen und das dem sein Maß Geben anzunehmen, was als es selbst in Washeit hat geworden sein können. Mit diesem Bezug der Schöpferkraft auf das Selbstseinkönnen von etwas als ursprüngliche Gabe kann dessen Nichtsein nur als sich auflösend gedacht, das Denken des Ursprungs erkennt sich im Mitvollzug, ja als Mitsprechen des schöpferischen Worts im Geist. Der Gedanke an den Ursprung von etwas vollzieht im Nachvollzug die Schöpfung mit und sein Denken in Begriffen nimmt die Bestimmung der Kraft des Schöpfergeistes zur Ermöglichung des Selbstseinkönnens dem Nichtseinkönnen entgegen als für sein eigenes Denkvermögen im Ursprungsverhältnis grundlegend auf.

Das „Nichts“, aus dem nur gegen es geschaffen werden kann, ist also kein Zustand, kein irgend situierbares „Sein von Nichts“, dessen Vorstellung ja in die Aporien führt, wie sie seit dem Lehrgedicht des Parmenides und Platons methodische Reflexionen im Sophistes erkennbar geworden sind. Da aber in jedem Gedanken an nichts dem Nichtsein ein Sein zugedacht und dem in keinem Denken zu entgehen ist, rechtfertigt der Sophistes gegenüber der Weisung des Parmenides die Rede vom Sein des Nichtseienden, weist diesem aber durchaus wiederum im Sinne der parmenideischen Warnung einen Ort in der Scheinbildung und den Einbildungen in Rede und Urteilen an, ohne den es keine Möglichkeit des Irrtums und ohne diesen keine Wahrheitsfähigkeit in den Urteilen (Logoi) gäbe.

Anselm vergleicht, ohne daß er sich auf diese Bildungsgeschichte philosophischer Einsicht direkt beziehen könnte, doch ganz im Sinne des platonischen Werks zur Methode der Prinzipien- und Ideenerkenntnis das Nichts, aus dem etwas nur durch das per se eines göttlich-geistigen Wirkens hat geworden sein können mit einer Krankheit, einem Mangel oder Widerstreit im Selbstsein, das nicht selbst sein kann, was es ist und gemäß der ursprünglichen ratio nur als es selbst sein kann, wenn es in seinem Wassein nur eingebildet und selbst ohne Selbstseinkönnen wäre. Die Gedanken Gottes in einer Zeit vor der Erschaffung von beseelten, ihres Ursprungs zu gedenken fähigen Wesen können als keine anderen angenommen oder geglaubt werden als die in zeitloser Schaffenskraft (im Nu) das Seinkönnen in Angemessenheit ermöglichend. Ursprung ist darum Rettung und Heilung, ist als solcher Erneuerung des jenem Ur-Bild Gemäßseins, das selbst kein Bild (von etwas) ist. „Auf diese Weise also kann es nicht ungereimt verstanden werden, wenn es heißt, daß die schöpferische Wesenheit alles aus dem Nichts gemacht hat oder daß alles durch sie aus dem Nichts gemacht wurde; das heißt: was früher nichts war, ist jetzt etwas.“ (M 8) Der mit der Zeitvorstellung eines Umschwungs von Krankheit zur Gesundheit, vom Nichtseinkönnen also als einem im Vermögen widerstreitvollen zu einem selbstangemessenen Seinkönnen gebildete Vergleich, muß als ein befreiendes Ermöglichen von Selbstsein gegenüber einem Nicht selbst Seinkönnen gedacht werden, das als Noch nicht Sein dem Gedanken Gottes in der ratio der Schöpfung nie hatte entsprechen können und darum keine Zeit vor der Schöpfung mit dem bloßen Gedachtsein in Gottes Wort teilt. Darum kann der in sich ja ewige Gedanke des Schöpfergeist nicht angemessen auf einen Zustand vor dem Seinkönnen bezogen sein, sondern allein als die Wendung gegen das Unvermögen und den Widerstreit begleitend und kraftvoll ermöglichend gedacht und mithin auch nur in einem Denken angenommen werden, das die Angemessenheit in der Beurteilung mitvollzieht. Anselm schließt darum das 8. Kapitel des Monologion und die Behandlung der creatio ex nihilo mit dem Hinweis auf die das Denken des Ursprungs im Geist der Seele mitvollziehende Urteilskraft ab: „dieser, der früher gleichsam für nichts erachtet wurde, wird jetzt durch jenen wirklich für etwas gehalten.“ In ihrer zeitlichen Vorstellung eines urzeitlich Vergangenen ist die Schöpfung aus nichts ein uns in der Seele bewegendes Gleichnis.

Das Mitdenken in ursprünglichem Geist der creatio ist ein sich Bilden von Achtung im Einsehen des Ursprungs als eine Würdigung. Die göttliche ratio ist, da sie uns im Ursprungsverhältnis von den Verfahren der Verstandesbestimmung in real analogen Zeitverhältnissen abwendet, je und entscheidend mit einer achtenden und damit Würde empfindenden Urteilskraft verbunden. Das Nichtsein, aus dem etwas als es selbst in Würdigung, es selbst sein zu können, geworden ist, hat für das, was sich zu seinem Ursprung verhält, eine entscheidende Bedeutung für die Bildung seines Selbstverständnisses. Im Ursprungsverhältnis stellt eine Seele sich selbst ein Ungemäßsein vor Augen, gegen den ihr Ursprung sie selbst wie alle Seelen befreit hat, wenn sie ihn als den ihren in gleicher Weise wie für alle annehmen und bewahren kann. Ursprung ist darum Erlösung aus dem Selbstwiderstreit des selbst mit sich und seinesgleichen Ungemäßseins.

Das Ewige des Gedankens als das Wort des sich Sprechens in schöpferischem Geist ist kein anderes als das Ewige der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Güte und Weisheit selbst. Gott gibt sich selbst und darum ist das schöpferische Denken Gottes nicht anderes zu vernehmen als im Mitvollzug in Vernunft auf die Vermögen dessen hin, was in seinem Grundverhältnis die Wesenheiten Gottes für das ihnen Entsprechen haben und wahren kann und als Bedingung der Einstimmung seiner Vermögen auch erhalten können muß.

Mit der Hinwendung zum Ursprung vermag die Seele denkend nicht nur sich selbst bewußt zu werden, daß sie es ist, die fragend sich wendet; sie übt im Verhältnis zu allem, was sie als ursprünglich aus Nichts geschaffen begreift und erkennt, auch eine Anteilnahme aus, die sie in eine Fürsorge gegen das Nichtsein für das Selbstseinkönnen verhält. So sind ihre Vernunftvermögen der Wahrung der Schöpfung verbunden und geben etwas von jener Ebenbildlichkeit kund, der wir uns in der Wendung zum Ursprung mit zu wenden. Die Vernunft der die Sorge des Selbstseinkönnens empfindenden Seele übernimmt vom Ursprung her den Widerstreit im Verhalten zum Nichts als das zu Überwindende, das in Grund und Maß des Ursprung als schon überwunden angenommen wird. In jedem Gedanken an den Ursprung von etwas überhaupt, nimmt so die Seele selbst ein Verhalten ein, das sie für ihr Selbstseinkönnen in eine Verantwortung gegenüber jener Verfehlung bringt, die sie mit allem, was einen Ursprung zu eigen hat, mußte teilen können. Sie hat darum in ihrer geistigen Kraft zugleich am zu Rettenden wie an der Kraft des Rettenden Anteil. Schon so wird erkennbar, daß die Ebenbildlichkeit auf die Kräfte und Vermögen der Seele hin angenommen werden muß. Erlösung vermag eine Seele aus diesen Gründen nie als nur auf sich bezogen erhoffen, sondern allein, wenn sie in Erneuerung der ursprünglichen Schöpfungskraft diese als für alle Seelen und für die als beseelt vernommenen Geschöpfe sich eröffnend annimmt und sich mit ihren Kräften in einen das Seinkönnen in Entsprechung rettenden Dienst stellt.

Alles Geschaffenseiende kann in seinem Ursprungsverhältnis für das sich entsprechende Wassein gar nicht anders denn als beseelt gedacht und als im Geist der Kräfte des Ursprungs teilhaftig erachtet werden. Es ist darum überhaupt keine Schöpfung der Dinge denkbar, die nicht als geistige Kraft Ursprung der Seele wäre, der als Erneuerung des Beseelten mit dem Verhalten zu einander auch ihre Verhältnisse zu den unbeseelten Dingen in eine schöne Ordnung brächte. Jede Wendung auf den Ursprung von etwas bedeutet für die Seele eine Selbstbesinnung auf all ihre Kräfte, die nicht alle zugleich und auf gleiche Weise an der ihr Wassein erneuernden Ursprungseinsicht teilhaben. Denn das Vermögen der Einsicht ist ja zunächst die Vernunft in Verbindung mit Urteilskraft. Das Verhältnis wiederum zu den unbeseelten Dingen steuert der objektivierende Verstand und das dem Gegenstandsverhalten zugehörende technische Wissen. Die Achtung der beseelten Dinge als Geschöpfe hingegen stellen die Mythen und die Dichtungen für die Seele in ihrem teilhabenden Empfinden dar.

Ursprung zu eigen haben kann nur etwas, das ein sich selbst Ungemäßsein sich in einem Zeitverhältnis durch eigenes Beurteilen zuerkennen kann. Es zeigte sich dann der Seele im Verhalten zum Ursprung weiterhin, daß jede Frage und jeder Antwortversuch für solches Erkennen ursprünglicher Bestimmungsgründe sie aus einer bloßen Selbstbeziehung auf ein allgemein gültiges Erkennen und praktisch leitendes Einsehen hin herauswindet, wie es die Seele als solche und damit die Seele im sich Verhalten aller zu Maß und Grund des je selbst Seinkönnens betrifft, ohne in einen Gegenstand prädikativ bestimmenden Allgemeinbegriffen sagen zu können, zu müssen und zu wollen, was Seele ist. Sie verhält sich darum im teilnehmender Fürsorge für das Geschöpfliche nicht zu allen und nur im Allgemeinen, sondern zum nächsten Besten, das sie als beseelt – und mithin beseelend empfindet. Die Seele selbst als die „eine“ gibt es nicht; und die vielen, die eine Seele haben, haben sie weder als ein Ding noch als eine Zusammensetzung aus Kräften, die jemand haben oder auch nicht haben kann, die wir besitzen oder weggeben könnten. Die Wechselseitigkeit ergibt sich im Denken des Ursprungs als ein Teilhaben an erneuerndem Geist, nicht als ein Tausch, nicht aus einem Vertrag, sondern in Stellvertretung einer Allgemeinheit, die eine Achtungsgemeinschaft der als ursprünglich gemäß dem Schöpfergeist Gewürdigten gründet und so selbst je erneuernd und den Geist der Einheit belebend mitwirkt.

Die Seele muß sich um „ich“ zu sich sagen können, als Person verhalten und als geachtet und in ihren Verantwortung- und Stellvertretungsfähigkeiten anerkannt erfahren können; es ist Seele selbst darum nur mit Gemeinschaft von Seelen aus einem sich anmessend erneuernden Zusammenstimmen ihrer Vermögen je im einzelnen, das darum die Seinsweise als Person zuerkannt werden darf. Auch von hier aus wird sich der Gebrauch von Person für Hypostasis in der Trinitätslehre erst von der Entsprechung im Ebenbildverhalten aus dem Ursprung der Seele rechtfertigen lassen. Jenes „ich“, das da im Wort Anselms auf die Erkenntnis des Ursprung der Seele verweist, spricht darum in Stellvertretung und nimmt so die Hörenden aus der Erinnerung des überlieferten Worts in die durch es bekundete Aufgabenstellung mit hinein.

Mit der Abwendung von Vorstellungen eines technischen Verstandes für den Gedanken an den schöpferischen Geist, wird auch das Sein Gott in seiner Weise, Schöpfer zu sein, als ein sich Geben angenommen, das sich in einem berührend beseelenden Sprechen selbst gibt. „Jetzt aber, nachdem das durchleuchtet ist, was mir bis jetzt über die Eigenschaften dieser höchsten Natur vor die Seele trat, indem ich der Vernunft als Führerin folgte, halte ich es für angebracht, über ihr Sprechen, durch das alles gemacht wurde – wenn ich etwas vermag –, nachzudenken.“ (M 29) Seele steht hier für das 'selbst sich etwas bewußt und gegenwärtig Sein'. Sie vertritt das betrachtende, sich bewußte Ich, das 'mir selbst' in seiner Gegenwart (ad presens mihi – mir gegenwärtig wurde), aber aus einem Folgen, und zwar der Vernunft, die ebenfalls zu den ihr eigenen Vermögen gehört, aber als geistiges Vermögen begriffen wird, wie auch die höchste Natur als höchster Geist erkennbar wird.

Von Objekten, die als in Wirkungen bestimmt erscheinen, können nur Ursachen der Wirkungserscheinungen gedacht, erschlossen werden, nicht aber Ursprung. Darum gehört der Begriff des Ursprungs als Vernunftbegriff nicht zu den reinen Verstandesbegriffen, die allesamt nur das im Bewußtsein auf Begriffe bringen, was als Gegenstand gegeben sein kann. Darum sind die mit den Funktionen, über etwas als etwas zu urteilen, einhergehenden Kategorien mit dem Bestimmungsverhalten in Gegebenheitsformen von Seiendem verbunden, das in irgendeiner Form rezipiert werden können muß; als je schon gegeben, während ihr Ursprung objektiv unergründbar ist. Ursprung hinwiederum ist unter den Bestimmungsformen des urteilenden Verstandes nur widerstreitvoll zu denken, wie sich in der Kritik am Gebrauch von erster Ursache und den kosmologischen Gottesbeweisen und den Abschlußgründen ihrer Regresse zeigt (umwillen der Einheit der Vernunft und damit ihrem Vermögen, im Regress der Suche nach einem zureichenden Grund einen Abschluß zu finden: der zu findende Grund dient dem Zweck des Gelingens des zurückschreitenden Vermögens als vermögend). Es ist darum nützlich und hilfreich die Arbeiten der Interpretation an den Werken Anselms nicht nur rückblickend auf Augustinus und Platon zu beziehen, sondern auch in methodischen Errungenschaften der Kritik der reinen Verstandesvernunft vom späteren Kant her zu beachten und für die Schärfung und Berichtigung der eignen Denkvermögen in das einzubeziehen, wie wir Vernunft im Begründungsverhaltens des Glaubens würdigen.

Alle mögliche Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Seele geht, um es zusammenzufassen, weniger auf die Angabe von Eigenschaften und die Beschreibung von Erscheinungen aus, als vielmehr auf eine Erneuerung und Ordnung, eine Anmessung und Berichtigung, auf Rechtfertigung und Heilung der Seelenverfassung. Die Methode in der Ursprungseinsicht kann darum weder eine der Phänomenologie noch der Anthropologie sein. Sie wird sich uns vielmehr als genuin theologische Erkenntnis darstellen, mit der sich die Seele in ihren Vermögen des Selbstseinkönnens als ein gemeinschaftliches wiederfindet – und für die die Philosophie als Magd die kritische Reinigung ermöglicht und einfordert.

Die Werkstrukturen erschließen sich, dem ganz entsprechend, was wir zum Geist im Ursprungsverhältnis der Seele sowohl von Texten wie von grundsätzlichen Erwägungen ausgeführt haben, von den Haltungen des exemplarischen Eröffnens des Mitvollzugs in einer je eigenen Vernunfteinsicht her, die bereits im Monologion als „exemplum meditandi de ratione fidei“ (wie Anselm im Prolog des Proslogions es rückblickend kennzeichnet) für die Einstimmung in eine gemeinsame Verfahrenshaltung sich mitteilen und die nachvollziehende Vernunft zu einer methodischen Vorbildlichkeit verhalten, die sie als einsehende wiederum selbst einnehmen und so die Einsicht gegenüber anderen argumentativ und mit Begriffsgedächtnis vertreten können muß.

Ursprung und Ebenbildlichkeit der Vermögen im Geist

Wir wollen zunächst von Augustinus her daran erinnern, daß Gottesentsprechung und Ebenbildlichkeit in dem, was sich auf grundlegende und ermöglichende Weise erneuert, auf die Vermögen der Seele bezogen sind, wie sie sich im Geist gewahren und mit dem Verhältnis zum Göttlichen als Geist zugleich wechselseitig bedingend in spezifischem Vermögen sich erhalten. Augustinus erkennt diese Wechselseitigkeit in der Entsprechung als oberste geistige Vermögen in einer Dreiheit, hebt aber in seinem für Anselm so bedeutsamen Werk „de trinitate“ nur einen Ternar, den von intellectus, amor und memoria, hervor, um ihn als ein Entsprechen in dem, was Geist heißt, zu erörtern. Der Intellekt wird manchmal im Sinne einer notio, also eines reinen Begriffs, die Liebe wiederum durch den Willen, voluntas ersetzt. Keine ausreichende Rechenschaft gibt sich Augustinus über die Teilhabe dieses Ternars an anderen Vermögen, die doch schon für die Selbstbeziehung als geistige gebraucht werden und von deren Vielfalt er schon im frühen Dialog „Über die Größe der Seele“ weiß. Daß dies sachlich erforderlich wäre, läßt sich auch vom Begriff des Geistes selbst erschließen, unter dem Augustinus den nouV als einen Inbegriff oder die Einheit der Ideen versteht, deren Gemeinschaft entgegen dem neuplatonischen Modell nicht erst dem Einen untergeordnet, sondern ganz im Sinne der Wesensidentität als Geist eins mit und insofern selbst Gott ist.

Fragt man nach der Teilhabe der ternarisch sich im Ebenbildverhalten strukturierenden Vermögen des Geistes sowohl an den Ideen des Guten, der Wahrheit, der Schönheit und der Weisheit als Wesenheiten Gottes als auch an den Vermögen der Vernunft, der Reflexion und der Urteilskraft in der Seele, dann läßt sich Anselms Aufnahme der augustinischen Problemstellungen zur Erkenntnisart im Verhalten zu und mit dem dreieinigen Gott als notwendiger Schritt zur Lösung eben dieser Zusammenhänge im Monologion erkennen, wie er grundlegend und leitend bleibt für das anselmische Werkgefüge, das Proslogion mit der Dreiheit von De veritate, De libertate arbitrii und De casu diaboli zusammenschließend.

Die Einheit der in ihrer Unterscheidbarkeit nicht auf eine zusammengesetzte Weise verbundenen Wesenheiten, wie es die an das 15. Kapitel anschließenden Überlegungen des Monologion thematisieren und die das wichtige 18. Kapitel des Proslogion noch einmal für die reflektierte Stellvertretung des Ganzen in einem jeden verbinden, gibt nicht nur eine größere Zahl von Wesensbegriffen des Göttlichen an und bezieht nicht nur auch die Vernunft in die Wesenheit ein, sie läßt auch erkennen, daß die Teilhabe der Verstandes- und Vernunftvermögen in der reflektierend maßnehmend und -vergleichenden Urteilskraft im Geist Konsequenzen für die Methode der Darstellung haben, muß, da diese selbst als vernunftgeführt ihre Entsprechung muß zeitigen können. Die Vernunft kann in der Ebenbildlichkeit nicht nur thematisch behandelt werden; sie beansprucht vielmehr in der methodisch getragenen Gegenwart der Entsprechung das sich Einsetzen der Vernunft- und Einsichts- und Beurteilungsvermögen der mitdenkenden Leser. Damit erhält die geistige Struktur der Werke als theologischer eine bildnerische und die Bildung der Vermögen zur Entsprechung anleitende wie herausfordernde Charakteristik, durch die sie sich jeder bloßen Beschreibung entzieht und nicht mehr Gegenstand jener Art von Verstehen sein kann, das nur nach dem von Anselm Gemeinten fragt, statt dem Fragen des Glaubens nach Einsicht im Geist selbst zu folgen. Daß mit der eingeforderten Reflexions- und Entscheidungskraft und dem Wesen des Schönen für die Seinsweise des Göttlichen in seiner Entsprechung auch das Empfinden, das Fühlen und die von ihm begleitete Bewußtheit einer Gegenwart begleitet sein können muß, das wird zum tragenden Wendungspunkt in der Figur der Gotteserkenntnis, wie sie das Proslogion darbietet.

Nun ist aber durch die Theologen, die mit Augustinus und Anselm Gottes- und Selbsterkenntnis für unabtrennbar erachten, kaum zureichend durchdacht, daß darin und dafür eine Unterscheidung der Vernunft vom Verstand in einer Reflexion statthaben muß, die ohne Urteilskraft als ein drittes, eigens zu bedenkendes Vermögen in Anspruch zu nehmen nicht durchgeführt werden kann. Diese erfährt als mit Vernunft verbunden und von einem auf Gegenstandsgegebenheit bezogenen Verstand unterschieden eine Bestimmung, in der sie reflexiv und einteilend auf die beiden im Geist der Seele ihr zuoberst zugeordneten Vermögen nur so bezogen ist, daß sie sich insgesamt zu allen Kräften des Gemüts bzw. der Seele verhalten. So hat die Urteilskraft der Vernunft nur mit und in begrenzender Unterscheidung vom Verstand Teil an der Wahrung der Einheit der Vermögen der Seele, wie es der Vernunft in der Fürsorge für die Seele im ganzen obliegt. Der Geist bildet für die Seele keinen eigenständigen Teil oder Bereich, sondern sie ist seiner nur teilhaftig, wenn sie in ihm durch eigene geistige Tätigkeit die Aufgabe der Einheit ihrer Vermögen selbst übernimmt, sich also zum geistigen ihrer Kräfte nicht so verhält, also könnte sie über sie für andere Zwecke verfügen. Sie vermag sich selbst nur zu beherrschen, also selbst entscheidend und führend zu sein, im Dienst an der Einsicht.

Mit Annahme und Wiedergabe des Maßgeblichen für ein jedes Vermögen unter Bedingungen ihrer Einheit hat die Urteilskraft reflektierend und einteilend Teil an der Orientierung des Verhaltens der Seele im Selbstbewußtwerden ihrer Vermögen, ihrer Bedingungen und Grenzen. Selbsterkenntnis als mit der Gotteserkenntnis verbunden und von ihr unabtrennbar hat mit Vernunft und Urteilskraft eine grundlegend verhaltensorientierende und handlungsbedeutsame Funktion, darin das Maß des Selbstseinkönnens eines jeden Vermögens wie ihres notwendigen Zusammenhangs als Seele selbst zur Geltung kommt und ohne die sie gar nicht Erkenntnis sein könnte. Die Unterscheidung vom Verstandesdenken und dessen Erkenntnisart muß in ihr eine kritische, vermögenseinteilende und -ordnende Gestaltung finden, da es gar kein Denken im Gebrauch von Begriffen und beurteilenden Bestimmungen ohne Verstand gegeben kann. Urbildlich verhält sich der Geist Gottes darum nur in der Bildung der zur Entsprechung durch ihn befähigten Vermögen. Ebenbildlichkeit muß mit Augustinus als Vermögen ihrer Bildung begriffen werden.

Diese Dreiheit des Geistes ist also nicht deshalb Bild Gottes, weil der Geist sich seiner erinnert, sich einsieht und liebt, sondern weil er zu erinnern, einzusehen und zu lieben vermag, von dem er geschaffen ist. (Augustinus, de trinitate, Buch XIV, 12,15)

Ebenbildlichkeit ist als die von Vermögen und für diese anzunehmen, da sonst keine Stellvertretung in der Annahme und Erkenntnis der Bestimmungen möglich wird. Da die Einsicht eine Annahme im Verbindlichsein ist, ist die Haltung des Erkennenden des Ursprungs der Seele die einer Stellvertretung und zwar Gottes wie aller Menschen – wahrgenommen im Vernehmen des das Gottes- als Ursprungsverhältnis erneuernden Worts im Geist, der aus der Zerstreuung sammelt und Gemeinschaft in nuce gründet, also als Gemeinde unter der Bestimmung der Universalität und Katholizität, aber als Aufgabe und nicht schon als zureichend erfüllt, jedoch im Bild der Vollkommenheit, wie es dem Himmelskönig, dem Heiligen der Himmel, dem Gott als Vater entspricht (vgl. Mt 5,48).

Eben dadurch ist er ja Bild Gottes, daß er Gottes aufnahmefähig ist. Und seiner teilhaftig werden kann, was ein so großes Gut ist, daß er es nur dadurch, daß er dessen Bild ist, vermag. (ebda. 8.11)

Als Bild aufnahmefähig zu sein für Gott selbst – nicht nur für sein Bild: dies wahrt die trinitarische Identität von Wort im Geist als Gott selbst. Gottes sich gebendes Bild ist Wort im Geist seiner Annahme als sich einformend, um das zu werden, das seiner ursprünglichen Bestimmung entspricht und in dem diese allererst zur Einsicht und Faßlichkeit im begleitenden Gedanken kommt. Erneuerung der Ebenbildlichkeit ist darum geistige Bildung der Seele in ihren Vermögen zur Entsprechung, die sich so bleibend selbst zur Aufgabe stellt in der Annahme der Entsprechungsgabe, in der Annahme des Entsprechenkönnens, das sich im Ursprungsverhalten aus der Rückwendung erneuert. Gott gibt als Ursprung ein Vermögen des Könnens, selbst sich selbst und Gott gemäß zu sein und gibt so seine Wesensbestimmung als diese Gemäßheit zu erkennen, ohne die Gott nicht Mensch geworden und der Menschensohn nicht als Gottessohn geglaubt werden kann.

Vermögen sind als das Sein der Seele in Einheit im Verhalten des sich Entsprechens durch Überwindung des Nichtentsprechens aus einem sich erneuernden Gottesverhältnis nicht bloße Fähigkeit und nicht als vorhandene Kapazität zu beschreiben, die man nutzen kann oder nicht und die man abrufen könnte bei Bedarf. Vermögen sind als Vermögen der Seele Bedingungen ihres Selbstsein in ihrem sich Anmessenkönnen. Ihre Thematisierung ist darum geistig, geschieht nicht ohne Gedächtnis und Erinnerung, nicht ohne Verstand und Bestreben zu entscheiden und Vorzuziehen, was gut und recht ist. Anselm spricht von dieser Urteilskraft als Geist der Seele im Zusammenhang von discretio und dilectio in den Schlußkapiteln des Monologion (M 68ff). Das Verhalten der Seele in und im Bewußtsein ihrer ursprünglich zu eigen gegebenen Vermögen ist darum ein sich freundschaftlich und liebend verbundenes Verhalten, das die Fürsorge für die Seele als Vernunftaufgabe allen Verhaltensweisen mitteilt und sie in einer Art Reich der Zwecke nach dem Maß der Idee eines jeden in Schönheit vereint. Schönheit wiederum als Wesenheit Gottes wird in ihrer Bindung als Maß des empfindenden und reflektierenden Geschmacks im Proslogion eigens zum Thema als Aufgabe zur Entsprechung (P 16 ff).

Für die begriffliche Rechtfertigung der Methode im Verhalten von Urteilskraft und Vernunft zu Vermögen sei wiederum auf Platons Sophistes verwiesen, darin der Fremde aus Elea für die Einteilung des Seienden das Sein als Vermögen (dynamis) anzunehmen weist. Darum ist Vermögen als von Handlung (actus) zu unterscheiden weder Wirklichkeit noch der Wirklichkeit entgegengesetzt, sondern im Maß als vollkommen, also von seiner Idee her göttlich gegründet und zu ermessen. In der Maßannahme ihres Ursprungs als Bestimmungsgrund sind Vermögen selbst unverfügbar, tragen und vertreten selbst ihr Maß und sind so jeder Willkür entzogen, also in jenem Sinne gewürdigt, wie es dem christlichen Schöpfungsbegriff und der Ebenbildlichkeit entspricht. Was Vermögen heißt, darf also nicht unter Kategorien erörtern, nicht nach Möglichkeit und Wirklichkeit geschieden werden. Es sind Vermögen vielmehr in und nach ihrer Idee unter Einheitsbedingungen einer Zweckmäßigkeit nur als in ihrem Verhalten schon begriffen anzunehmen, darin sie das für sie gültige Maß haben, das sich in der Ideen- als Wesenserkenntnis Gottes erneuert, sie im Verhalten als vermocht berichtigt und in Wendung gegen das nur selbstwiderstreitend Unvermögendsein, wie es jeder Verfehlung zugehört, bildet. Ohne diese Annahme in der Achtung der Unverfügbarkeit kann das Ursprungsverhältnis der Vermögen der Seele nicht einmal gedacht, geschweige theoretisch gefaßt oder verstandesmäßig konstruiert werden. Völlig untauglich sind dann auch die halbmetaphorischen Reden eines „in“ Seins, das es nur wieder vorstellend in räumlich bestimmter Einbildungskraft operiert, nicht aber im Geist selbst an der Erneuerung als einer Bildung und Orientierung werkhaft wirksam teilnimmt.

Mit dem Verhältnis von Seele und Geist, von Vermögen oder Kräften und den Ideen, deren Einheit Augustinus als nous im Sinne von Geist begreift, ist zugleich auch das Verhältnis von Erkennen und Lieben thematisch. Es ist kennzeichnend, daß die Ebenbildlichkeitsstrukturen in Augustins de trinitate Vermögen des Geistes sind, deren Verhaltensweisen und Strukturen ein Miteinander im einander Bedingen und eine Selbstbezüglichkeit engführen, ohne daß dort ausreichend bedacht wäre, daß und wie die Vermögen des Begreifens (intellectus durch notiones), des Liebens (amor) und des Gedächtnisses (memoria) in einen Dienst und Fürsorge für die Seele in all ihren Kräften eingebunden sind und sich so überhaupt erst als erneuernd durch Selbsterkenntnis im Ebenbildverhältnis in die Aufgaben der Seelenführung darstellen und im Werdenkönnen als Person in Reformierung ihrer ursprünglichen Würde sich finden und binden können.

Urteilskraft und Bildung der Vernunftvermögen im Monologion

Anselm teilt mit Augustinus in der trinitarischen Gotteserkenntnis den Ausgang vom Bewußtsein und der Haltung dessen, der nicht einstimmt, der, wie der insipiens im Proslogion, Gottes Sein leugnet oder, wie im Monologion, nicht glaubt und nicht im Gedanken die Einheit im Grundverhältnis wahrt. Die Untersuchung wird in der Rolle dessen geführt, der „mit sich durch bloßes Nachdenken das erörtert und erforscht, was er früher nicht beachtet hatte“ (Monologion, Prolog). Es würde sich in einer ausführlichen Darstellung der Möglichkeit einer vernünftigen Darstellung des christlichen Gottesglaubens überhaupt zeigen lassen, daß wahrheitsfähige Einsichten in die Dreieinigkeit nur über die Kritik und Überwindung der Verfehlungen sich einstellen und also einen Bildungsweg einschlagen müssen, darin die Gedächtnisse der Häresien die Wendungsorte des Zugangs bereitstellen, weil ohne die Reinigung von den als allgemein geteilten Gefährdungen zu Verfehlungen keine Entsprechung sich einstellt, als die die Einsicht nur sein und als eigene erworben sein kann. Mögliche häretische Verfehlungen müssen als eigene Schuld in der nach Begründung im Glauben suchenden Vernunft übernommen sein. Jeder affirmativ konstruierende oder durch Analogien nur beschreibende Versuch der Bestimmung des Gottesbegriffs und des Wesens der Seele erneuerte statt der Annahme von Gott als Maß für das Verhalten in den Vermögen der Seele nur deren Verfehlung.

Das Monologion beginnt, wie einleitend erwähnt, in den ersten Sätzen seines ersten Kapitels mit der Voraussetzung, daß „einer die eine Natur, die höchste von allem, was ist ... nicht kennt“ (M 1). Ihn durch Überredung zur Überzeugung zu bringen versucht die Vernunft (sola ratione persuadere) dadurch, daß sie an der von einem jeden Bewußtsein geteilten Einsicht anknüpft, daß alle, die etwas zu genießen anstreben, dieses zu genießende „für gut erachten“. Damit lädt die Vernunft zur Besinnung auf das in Anspruch genommene Maß im Verhalten der Beurteilung ein. Daß in solchem Maßverhalten das Gute selbst als ein eines mit angenommen wird, weist die darauf aufruhende Vernunftüberlegung nach; es bleiben so aber auch alle erschließbaren Vernunftgründe an die Annahme jenes Maßgeblichen gebunden, das durch kein höheres Maß mehr beurteilt sein kann und darum Maß im Vermögen der rechten, der vernünftigen Beurteilung selbst ist. Im bereits Eingangs behandelten 8. und 9 Kapiteln wird Maß und Grund für das Ursprungsverhältnis überhaupt zur Geltung gebraucht. Mit dem „Einwand vom Nichts“ her, mit dem M 8 einsetzt, ist die folgende Argumentation nicht mehr allein an die Situation der Reflexion des sein Strebensgut Beurteilenden gebunden, sondern die Unwissenheit eines zufälligen Einzelnen im Verhältnis zum Maßgrund seines Vermögens mit der zur Überzeugung gewonnen Einsicht in die Notwendigkeit der Annahme einer maßgrundgebenden höchsten Natur ein ein Verhältnis gesetzt, wie es die schöpferische Errettung aus der Ungemäßheit in das Gemäßsein durch die creatio ex nihilo darstellt.

Die Hochschätzung des ursprünglichen einigen Maßgrundes, der nachfolgend als das Gute, die Wahrheit etc., zur Bestimmung in Wesensbegriffen gebracht wird, muß als Grund eingesehen und als angenommenes Maß in dieser Angenommenheit empfunden sein, also begleitet vom empfindenden Beurteilungsbewußtsein der Rechtheit des eigenen Handelns und Verhaltens: die Anwesenheit des Göttlichen als Grund und Maß: als Grund im Maß kann nur im Selbstbewußtsein (praktisch und ethisch) verpflichtender Vernunft (die sich in all ihren Regel- und Gesetzgebungen selbst verpflichtet: als maßvernehmende begründend der für sie maßgeblichen Bestimmungsgründe eingedenkt sich in den Weisungen und Bestimmungen verhält, die sie gibt: je in ihrem Grund- und Maßgabeverhältnis einsichtig werden könnend: für das Selbstbewußtsein des sich als recht Verhaltens). Die reflexive Entgegensetzung zum Nichtsein des Wesens selbst, wie es M 15 dann durch das melius ipsum quam non ipsum für die Wahrung der Wesenserkenntnis darstellt, schließt durch das mit ihm aufgerufene Grundverhältnis des Vermögens der Urteilskraft die Einstimmungsbedingungen des Selbstseins im dem Wesen entsprechen ein; doch läßt sich dies nur im großen Spannungsbogen zum Proslogion und der an es anknüpfenden Werke für Anselm zeigen.

Mit der Vergleichsentscheidung zum selbst nicht Sein einer Wesenheit wird der Vorzug unmittelbar in der Urteilskraft wirksam. M 15 nimmt so das Ursprungsverhältnis ex nihilo, das, wie gezeigt, nicht als Übergang von einem Zustand in einen anderen zu verstehen war, sondern das Nichtsein als Gefährdung des Selbstseinkönnens angibt, wie es gemäß dem Wesen Gottes selbst als gerecht, gut und weise zu sein sich bestimmt sieht, ein in der Rückwendung teilnehmendes Entscheidungsverhalten an. Die Negation des Selbstseins (non ipsum) wird unwillkürlich als ein nicht selbst sein Können vernommen und läßt die Seele an einem Selbstwiderstreit von Vermögen denkend teilhaben. Die Wesenheit des Göttlichen wird so einsichtig ausgewiesen als Grund, ohne den es kein angemessenes, kein mit sich einstimmendes Selbstsein – für nichts, was aus anderem geworden ist – geben kann. Darum ist Schöpfung Rettung und der Ursprung der Seele nur denkbar mit dem Sich Sprechen des göttlichen Worts in Wiederaufnahme des als gut einzusehenden Maßgeblichen in Erneuerung des Grundverhältnisses: in einem Tun also, in Ausübung der Seelenkräfte als der Einsicht und der Führung wie des Sich Führen Lassens fähig.

Mit der für die Wesenserkenntnis in Begriffen zentralen Beurteilungsreflexion des 15. Kapitels wird das Verhältnis von Gemäßheit und Ungemäßheit gleichsam hinaufgehoben in die Wesensannahme der Vernunft durch reflexiv zur Entscheidung verhaltende Urteilskraft. Ihn dem, was in jeder Hinsicht (omnino) besser ist, selbst zu sein als nicht es selbst, wird die Vernunft der Urteilskraft zur Achtung und Anerkennung dessen gewandt, dem keine es negierende Weise mehr als eine mögliche Alternative gleichgeordnet sein kann. Auf diese Weise wird noch das ungläubige oder unwissende Bewußtsein durch argumentative Vernunft in eine sich selbst nötigende Entscheidung gebracht.

Nur ist damit allererst eine Wendung erreicht, in der das Denken sich auch von der vergleichenden Rede im Gedanken an eine höchste Natur verabschieden muß. Die Vielheit der Wesensbegriffe, durch die das Entscheidungskriterium sich erfüllt fordern eine neue, nun nicht mehr einem Unwissen zuerkennbaren Problemstellung und -behandlung heraus, die zum zugleich vernünftigen und reflexiv unterscheidenden wie identifizierenden Verfahren der Erkenntnis im Verhalten zu Gott und zwingend je auch zu sich selbst in den Bestimmungsarten der Vermögen, selbst zu sein, gehört.

Als einfach im Sinne von nicht zusammengesetzt wendet sich die Vernunft in Wahrung von Einheit des Wesens in der Vielheit der Wesensbegriffe zuerst und notwendig gegen die Vorstellungen des Teilbaren und die Welt des Zusammengesetzten, also das durch den Verstand in Bestimmungen von Raum und Zeit situierbaren. Das Wesen in den Begriffen von Wahrheit, Gerechtigkeit, Weisheit usw. kann als ewig nicht in Zeit und Raum eingeschlossen aber auch nicht ausgeschlossen werden, Die versuchte Verhältnisbestimmung führt zu paradoxen Formulierungen des immer und nie, des überall und nirgends. Diese Begrenzung gegenüber einem mit sich selbst einstimmenden Verstandesvermögens im Gebrauch seiner Bestimmungsfunktionen in der Anschauung von etwas gegebenem führt in den folgenden Abschnitten bis hin zur Zurückweisung nicht nur von relational vergleichenden Aussageweisen, sondern auch des Gebrauchs von Substanz im kategorialen Sinn für die Eigenart des Wesens. In Kapitel 27 des Monologion heißt es: daß von der Wesenheit als Substanz zu sprechen, nicht mehr in einer Weise möglich ist, wie von Substanz in den ontologischen Traktaten gehandelt wird. „Es steht also fest, daß die Substanz, von deren wesenhafter Gemeinschaft jede Natur ausgeschlossen ist, in keinem Traktat von den Substanzen eingeschlossen ist.“ (M 27) Es gibt keinen Oberbegriff, den sie mit anderem Seienden teilt, noch kann ihr Begriff als Allgemeinbegriff fungieren, der sich nach Arten von Seiendem einteilt. Diese Substanz oder Wesenheit ist also weder erste noch zweite Substanz im Sinne der aristotelischen Kategorienschrift.

Anselm führt seine Mitbrüder und uns als Leser zur Einsicht, daß dem Grundanliegen von Augustinus nur entsprochen werden kann, wenn keine der Kategorien mehr für den Begriff des Wesens Gottes gebraucht werden, einer Einsicht, in der ihm die Scholastiker nicht gefolgt ist. Im Unterschied zu Augustinus wie auch zum späteren Thomas von Aquin und deren Gebrauch von Substanz und Relation für eine Trinitätslehre, zieht Anselm zugleich eine Grenze der Ehrbarkeit für den aussagenden Verstand durch die Reflexion auf die Teilhabe am individuellen, d.h. unteilbaren Geist (individuus spiritus, M 27). Das Substantielle muß sowohl in der Wesenheit als Geist, wie in der Subsistenz als Person (hypostasis) vernommen werden. Anselm orientiert sich, wie er im Vorwort schon anzeigt, eher am Sprachgebrauch der griechischen Kirchenväter, „die drei Substanzen (hypostaseis“ in einem Wesen (ousia) – nicht eine Person, wie er irrtümlich notiert, annehmen. (vgl. Monologion, Prolog). Daß sich mit der Rede von der Substanz in Kritik an der kategorialen Bedeutung die Subsistenz in personal geistiger Bedeutung aufnehmen läßt, macht die Funktion und die Art und Weise der Auseinandersetzung deutlich und gibt für die Methode des „sola ratione“ zu erkennen, wie sehr sie von einer Begriffsarbeit im Zusammenhang mit der Bestimmung von Vermögen in Erkenntnis ihrer Zuständigkeiten und Grenzen verbunden ist.

Das Monologion gibt in begrifflich argumentativer Durchführung ein Begründung durch Darstellung einer Lösung für den rechten Gebrauch der Begriffe Wesenheit und Substanz für den Gottesgedanken, die Indifferenz von Natur, Wesen, Substanz aufgreifend und überwindend (lösend).

Mit dem individuellen Allgemeinen des Geistes als Substanz oder der Substanz Gottes als Geist ist nicht nur die Rede von Gott als Geist rekonstruiert, wie sie die Gedankenführung des Augustins in de trinitate begleitet, sondern es ist eine die Einzelnen im Geist ihrer einbindende Entscheidungsgestalt angesprochen, mit de er sich je wieder gegenüber dem nach Teil und Ganzem einteilenden Verstand wenden muß. Diese Not wird uns wieder begegnen in Proslogion 18. Im Monologion leitet sie über mit der Führerschaft der Vernunft (M 29) in Vertretung der unteilbaren Einheit des Geistes zum trinitarischen Leben, in das die Seele mit Glaube, Liebe und Hoffnung sich geistig eingebunden erkennt. Die Vernunft kann durch Einsicht aus Maß- und Grundannahme geistig leitend sein, weil die Wesenheit selbst ihre Erkenntnis, ihre Weisheit ist (quod est sua sapientia, M 29).

Im Geist der trinitarischen Gotteserkenntnis sind die Vermögen der Seele je als einzelne in Anspruch genommen und mit der Notwendigkeit der Wahrung der Einheit in der Vielheit der Wesensbegriffe des Göttlichen zur Einheit als und durch das Entsprechen verhalten. Die Nötigung erfolgt für das Denken aus der dem Gottesbegriff zugehörigen Unteilbarkeit des Geistes, der als Individuum nur als Person subsistieren kann. Die tritt in anderer Gestalt im Proslogion als die Unabtrennbarkeit von Sein und Wesen im Vernunftgrund dem Verstand gegenüber auf. Im Unterschied zum Monologion, wo das Sein noch als eine Wesenheit neben den anderen begriffen und aufgezählt wird, führt das Proslogion nun wieder die Seele im Ganzen ihrer unteilbaren Vermögen zur hoffnungsgetragenen Arbeit an dem, was ihnen jeweils im Besonderen und gemeinschaftlich entspricht.

Anselm selbst wird, besonders in den Zurückweisungen der Einwendungen des Gaunilo, diesen Verfugungen nicht ausreichend gerecht und dieser Mangel zeigt sich in der Behandlung der Gerechtigkeit (vgl. P 9-11). Die Gerechtigkeit selbst als Wesenheit Gottes ist überhaupt nur denkbar und somit erörterbar aus der Annahme als Grund und Maß im wiederermöglichten Zusammenstimmen der Seelenvermögen für ihr Vermögen der stellvertretenden Verantwortung von Gerechtigkeit, Wahrheit und Rechtheit im Geiste, daß eine jedes das Sein auszuüben vermag. Ansonsten verhandelten wir nur projektive Problemstellungen (wie der Vereinbarkeit von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit), statt die Umwendung im Ursprungsverhalten zu Gott mitzuvollziehen.

„Ergo summus ille spiritus sicut est eternus ita eterne sui memor est et intelligit se ad similitudinem mentis rationalis; immo non ad ullius similitudinem, sed ille principaliter et mens rationalis ad eius smilitudinem.“ - Also ist jener höchste Geist, wie er ewig ist, so ewig seiner gedenkend und erkennt sich nach Ähnlichkeit des vernünftigen Geistes; doch nein, nicht nach Ähnlichkeit mit irgend etwas, sondern er ursprünglich und der vernünftige Geist nach Ähnlichkeit mit ihm. (Monologion, M 32)

Und für die Seele läßt sich dann fortschreibend sagen: es gibt keine gerechte Seele ohne und außer der in Stellvertretung die Ähnlichkeit durch Erneuerung der Vermögen wahrenden Verantwortung in einer personal verfassten Gemeinschaft, ohne die keine Geschichte, keine Überlieferung, keine Sprache und keine Prüfung in der Wahl des Amtes und keine Bildung der für die Nachfolge und Stellvertretung notwendigen Vermögen der Seele möglich ist. Auch die Ungerechtigkeit im Selbstwiderstreit der Seele ist keine private, sowenig wie die Gerechtigkeit selbst; doch ist jene aus dieser in der Seele durch diese selbst geistig zu verantworten. Es ist darum die Übernahme von Schuld für die Gerechtigkeit als göttlicher wesentlich, und darum gibt es keinen Zugang zur himmlischen Gerechtigkeit außer der Stellvertretung in der Sohnschaft und ihrer Teilhabe (vgl. Joh 14,6). Gewahrt man dies nicht, ist die Wesenseinheit von Gott als Vater und als Sohn im Geist unannehmbar.

Einheit der Vielheit in der Entgegensetzung

Um überhaupt den Gottesgedanken sowohl in der Einheit der Vielheit der Wesensbegriffe wie in der Unabtrennbarkeit von Wesen und Sein wahren zu können, sieht sich das Glaubensdenken zu einer Erkenntnisarbeit genötigt, die die verschiedenen Vermögen der Seele in eine nun sich erweiterndes Verhältnis bringt und ohne kritische Urteilskraft nicht möglich ist. Diese ist darum für eine jede vernünftige, begründend sich darstellende Theologie grundlegend.

Für den Bildungsgang mit dem Monologion kam es darauf an, die Wesenserkenntnis als ursprüngliche Verbindung in der Annahme von unbedingt geltenden Maßgründen in der Verflechtung des Werkzusammenhangs zu erkennen und mitzuvollziehen. Er ist vorbildlich in exemplarischer Durchführung, zeigt als Methode einen mitgehbaren Weg auf, der selbst gegangen werden können muß und dem nicht nachgegangen werden kann, ohne die eigene Entscheidungskraft einzusetzen und an der stellvertretenden Haltung im Vernunftbewußtsein des gemeinsamen Glaubens teilzunehmen: ein philosophisch theologischer Beitrag zur Bildung, eines Geistes sein zu können.

An einer als Haltung der Unweisheit zu begreifenden Ausgangslage knüpft auch das Proslogion in seinem berühmten Beweis wieder an: die Vernunftführung von Begründung kann nur zur Einsicht führen, wenn sie die Leugnung zum Anlaß der Widerlegung nimmt, die sie für ihre Eigene Bildung und Rechenschaftslegung vollzieht: als zur Geltungsform des Glaubens gehörig. Die Bezeichnung des „insipiens“ als des Unweisen gibt zugleich einen erneuten Hinweis auf den Zusammenhang von Vernunft und Urteilskraft im Ideen- und Maßverhalten der für alles warheitsfähige Gottes- und Selbstverhältnis notwendigen Weisheit: ihr Mangel zeigt sich als ein Mangel an Geschmacksempfindung. Beachtet man dies zusammen mit der Begrenzung des nur verstandesgeführten Denkens (das einer Verstehenshaltung frönt, die sich zunächst unabhängig von einer Verhaltensverbindlichkeit für Seele und Personsein entscheidungsfähig wähnt), dann wird allererst die Struktur des Werks und die Argumentationsverflechtung des Proslogion deutlich.

Daß es sich in den Kapiteln 2 – 4 des Proslogion nicht um einen ontologischen Beweis handelt, ist inzwischen weitgehend Gemeingut in der Anselmforschung. Die Beweisart ist eine Widerlegung und hat die Einsicht der Unabtrennbarkeit von Sein und Wesen für den Gottesbegriff zum Ergebnis, darin das Denken mit dem Übergang zu Kapitel 5 in die Wesenserkenntnis als Aufgabe und Ermöglichung sich selbst führt. Die reflexive Entscheidungsform eines melius esse quam non esse, mit der P 5 an M 15 anknüpft, ist selbst im unum argumentum und seiner Anfangsformulierung, daß Gott das sei, über das hinaus nichts größeres kann gedacht werden, eingeschlossen, so daß das Proslogion ein gut Stück seines Erkenntniswegs als Entfaltung des Gottesbegriffs verstanden werden kann, ohne die die Einheit des Begriffs nicht gehalten, nicht im Geist der Seele gewahrt werden kann; denn durch das Denken allein ist diese Erhalten des Gottesbegriffs nicht möglich, wie das Proslogion spätestens mit dem 15. Kapitel anzeigt.

Die genannte Entfaltung kann aus der Verbindung von quo majus cogitari non potest und dem melius esse quam non esse auch als eine Ersetzbarkeit in Ergänzung des maius verstanden werden, das, wie schon M 2 ausführt, im Sinne all der Wesensattribute verstanden werden können muß, die im folgenden je für sich bedacht und in ihrer Besonderheit und Unterschiedlichkeit bestimmt werden: nichts größeres, nicht besseres, nichts würdigeres nichts wahreres, nichts weiseres. Denn ich „spreche nicht von einem räumlich Großen wie es der Körper ist, sondern von dem, das, je größer es ist, umso besser oder würdiger ist, wie die Weisheit.“ (M 2). Die Entspricht der Abhandlung der Größe der Seele bei Augustinus. Im Proslogion taucht die Formulierung quo nihil melius cogitari potest (P 18), über das hinaus nichts besseres gedacht werden kann, in der Tat eigens auf.

Durch seine gesamte Struktur und das jene Grenze der Denkbarkeit gleichsam umrahmende Einbeziehen von Gegenwart im Empfinden der göttlichen Schönheit als eine Freude und Gott als das Erfreuende, durch das in ihm gegründete sein kann, was es ist und sich wohl befindet (schon M 1) gibt das Proslogion zu erkennen, daß das – im Beweis – als notwendig mitzudenken erschlossene Sein Gottes für sich nicht gedacht werden kann. Darum muß es als zugleich undenkbar dem Denkverhalten der Seele zu Gott anverbunden werden. Dies ist der Trennung des Denkens von den Verhaltensvermögen der Seele als einer empfindend und fühlend erkennenden geschuldet. Nur wenn dieses Empfindungsbeurteilen einbezogen und der Anspruch der Gegenwart Gottes in und für die Liebe der Seele im ganzen für wahr genommen wird, wenn also das Glaubensdenken in Liebe Gottes Sein nicht als Gegenstand, nicht als vorstellungsbezogene Gegebenheit versteht, sondern die Unabtrennbarkeit von Sein und Wesen Gottes als Unabtrennbarkeit der Gotteserkenntnis von einer sich in Beurteilung von Wahrheit und Schönheit unter Beachtung aller Vermögen und Bedingungen des Selbstseins als Seele, die göttlich ermöglichten Ursprung hat, wenn sie also ihren Ursprung im Gottesverhältnis als Gegenwart und mithin als Erneuerung ihrer Vermögen des Selbstseins aktual zu Geltung bringt, dann allein kann sich das christlich Geglaubte bewahrheiten.

Prolegomena zur Fundamentaltheologie

Es gibt – und dies ist Bedingung von Theologie überhaupt – einen unauflöslichen Zusammenhang von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis der Seele in ihren Grundhaltungen und Orientierungen. Selbsterkenntnis ist geistig und der Geist ist das Führende in der Seele, was aber und worin sie als Seele sich führt und führen läßt sind ihre Vermögen, mit denen und für deren Zusammenstimmen im Leben sie vom Geist in den Erkenntnis- und Vernunftvermögen sich durch diesen zu unterscheiden weiß. Die Seele hat darum im Unterschied zu dem, was in der Tradition Geist – sei es als pneuma, nous, spiritus oder mens – genannt wurde, darin ein eigenes, daß sie in Verbindung mit ihren geistigen immer auch Vermögen des Begehrens und der Sinnlichkeit hat. Mit diesen ist sie in der Urteilskraft als Vermögen des Geschmacks und dem Gefühl der Lust und Unlust verbunden, ohne das es keine sie bewegende Vorzugsentscheidung (dilectio) gibt. Wir verweisen hier nur auf die Einteilung der Seelenkräfte in Platons Politeia und erinnern an den Begriff von Geist (noûs) als Einheit der Ideen bei Augustinus. Die Seele hat durch ihre geistigen Vermögen an den Ideen göttlicher Wesenheiten (wie dem Guten, der Wahrheit, der Gerechtigkeit selbst) ebenso Anteil wie durch ihre Begehrungsvermögen an Potentialen von Widerstreit und mithin an Ungerechtigkeiten. Seelische Vermögen sind beide aber nicht ohne einander. Wie es kein Begehren als seelisches Vermögen ohne Vorstellung, so gibt es kein Streben und Verlangen im Geist ohne Empfindung eines Mangels.

Die Erneuerung der Entsprechung ihrer Vermögen an den für sie ursprünglich maßgebenden Ideen bzw. Wesenheiten des Göttlichen kann sie darum nur im Geist gegenüber dem ihr eigenen Widerstreit auf eine Einstimmung hin bewerkstelligen, die ihr nur dann möglich ist, wenn der Geist ihrer sie leitenden Ideen, wenn der göttliche Geist in und für sie eine Vermögensmacht in Teilhabe am Widerstreit zu dessen Überwindung sein kann, also das Göttliche ursprünglich ein Rettendes und Wendendes und Berichtigendes durch den Geist der Seele für sie ist. Allein so läßt sich, was wir einleitend ausführlich darstellten, das Mitsprechen des Logos in schöpferischem Geist für den Ursprung der Seele verstehen, wie es die Deutung der creatio ex nihilo in Anselm Monologion uns zu verstehen gibt. Sie bindet unser Denken ein in die epimeleia thes psyches, die Fürsorge für die Seele. Theologie in der Einheit von Gottes- und Selbsterkenntnis ist als solche Seelsorge.

Es gehört also zum Begriff des Geistes im Selbstverhältnis der Seele im Gewahren ihrer Kräfte und deren Aufgaben- und Funktionsbestimmungen, daß Erkenntnis hier nicht Erkenntnis eines gegebenen Gegenstandes sein kann. Alle Ausgriffe auf Ontologie in den Begründungsversuchen von Theologie aber haben an Gegenstandsbeziehungen Anteil, ohne sich darüber noch Rechenschaft geben zu können. Verbunden mit einem unkritischen Gebrauch von Sein, Wesen oder Substanz und Wirklichkeit ist die Verfallsgeschichte des Thomismus bis zur Neuscholastik daraufhin zu prüfen und zu rekonstruieren, inwieweit sie als Wissenschaft Gott und mit ihm die Seele gleich einem Gegenstand behandelte und in ihrer primären Verstandesorientierung, die ihr Gegenpart, der Voluntarismus, mit ihr teilte

Ontologiereflexiv gesprochen, sind Begriffsrealismus und Nominalismus in ihrer Gegenstandsbezogenheit überhaupt nicht entgegengesetzt, und bieten keine grundlegungstaugliche Alternative. Anselm ist, wie de incarnatione verbi verdeutlicht, kein Nominalist, aber sein Erkenntnisweg ist auch nicht durch Begriffsrealismus oder eine Ontologie fundiert, noch durch eine krude Mischung beider, einander entgegengesetzter Haltungen im Universalienstreit zu charakterisieren. Vielmehr entspricht die Methode der Vernunft in den Hauptwerken Anselms einer fast 800 Jahre später erhobenen Forderung Kants, daß in einer Kritik der Vernunftvermögen die Kategorien von Ideen zu unterscheiden sind. Der Universalienstreit hingegen entsteht überhaupt erst, weil Kategorien der Realität und der Wirklichkeit auf Begriffe angewandt werden, ohne sie als Gegenstandsbegriffe von Vermögen und Ideen, mithin den Verstand von der Vernunft und damit eine gegenstandsfunktionell bestimmende von einer reflektierenden und maßannehmenden Urteilskraft zu unterscheiden.

Ursache des Universalienstreits war die Frage nach der „Realität“ der Begriffe – diese aber isoliert genommen. Das entspricht aber nicht der Form der Begriffe, die im Denken gar nicht als Begriffe (von etwas) auftauchen, ohne Verbindung von Begriffen. Denn Begriffe sind als solche Verbindungen von Begriffen, zunächst in Urteilen und ohne deren Einheitsfunktion entsprechen sie nicht der Form als Begriff für das Denken von etwas als etwas. Realität kann eine Bedeutung von Begriffe nur haben, wenn diese sich auf Gegenstände als gegeben bezieht und damit eine Unterscheidung von Denken und Einbildung in deren bestimmender Verbindung für die Verstandeserkenntnis ermöglichen.

Ein Gegenstandsbezug von Begriffen und damit die Möglichkeit einer Ontologie überhaupt ist nur durch Begriffsverbindung gegeben, die eine Funktion für das Bewußtsein eines Gegenstands als gegeben haben. Diesem Bewußtsein muß also das Selbstbewußtsein möglich sein, das Gegebene als gegeben Bewahrheiten zu können, Dies erfordert eine Differenz von Denken und Erkennen im verständigen Denken, ohne die jene Unterscheidung von Denken gegenüber der Einbildungen nicht möglich ist. Denken und Einbildung sind also für die Erkenntnis im Verstand als Vermögen vereint und als Beurteilungskriterien entgegensetzt nur, weil sich mit der Verbindung von Denken und Einbildung eine Einheit oder Uneinigkeit in und für die Erkenntnis als durch Wahrnehmung bedingt, als der Erfahrungserkenntnis beurteilen läßt. Da aber unter empirischen Bedingungen des Gebrauchs von Begriffen keine Ontologie als Metaphysik mehr möglich ist, wird das Anliegen einer ontologischen Fundierung nach Kant durch die Kritik der Vermögen der auf den Verstand bezogenen reinen Vernunft ersetzt und jede Versuch einer Fundamentalontologie obsolet.

Gerade der unauflösliche Zusammenhang der beiden Erkenntnisbewegungen besagt, daß alles, was wir von Gott und uns selbst als beseelte und des Rückbezugs auf Gott als Ursprung fähige Lebewesen erkennen und insofern vom nur Ausgedachten, von bloßen Einbildungen und Projektionen unterscheiden können, Bedeutung hat für Lebensführung, Handlungsverhalten und dem Bewußtsein von Freiheit in Verantwortung als Person. Das Führende ist Vernunft als Geist getragen von der Seele im Seinkönnen als Person, die selbst nur sein kann in Fürsorge ihrer geistigen Kräfte für die Seele und damit auf die Seele als solche, nicht als nur eine eigene bezogen ist: denn dem Geist eignet nicht Seele, sondern der Seele eignet je Geist, als der aber das Bewußtsein in die Vernunftbestimmung eintritt, für die Seelenvermögen überhaupt zu sorgen. Darum hat die Gottebenbildlichkeit in der Unabtrennbarkeit von Selbst- und Gotteserkenntnis eine gemeinschaftsdienliche „Funktion“ und Wirksamkeit als Geist – göttlich in Person und damit zugleich den Seelen als fürsorgend dienend.

Auf dieses Seinkönnen als Person in einer stellvertretenden Verantwortung ist die Ebenbildlichkeit bezogen, die sich im unauflöslichen Zusammenhang der Erkenntnisbewegungen mit der Reflexion im Ursprungsverhalten als Übernahme von Verantwortung und Schuld zu Bewußtsein bringt, da seine Bestimmungsgründe erneuernd die Haltung des Menschen im Geist seiner Seele, im Ganzen der Person vom Personseinkönnen als solchem her berührt und reformiert. Darin ist Gott als Mensch, wie von Jesus als dem Christus zu glauben, Vorbild als Gestalt des maßgeblichen Grundes im teilnehmenden und die Nachfolge ermöglichenden Leben und Lehren.

Der Weg zur Gotteserkenntnis im Werkgefüge

Anselms erstes große und zeitlebens umfangreichste Werk, das Monologion, hatte zunächst den Titel exemplum meditandi de ratione fidei.8 Es soll in paradigmatischem Charakter dabei mehr sein als nur ein Beispiel, sondern muß in seiner Durchführung Vorbildcharakter für das Nach- und Mitvollziehbarsein annehmen können, hat also methodische Bedeutung. Denn Methode heißt wörtlich nichts anderes als der Mitweg, meta hodos. Es ist der Weg, den man entlang gehen, dem man folgen kann, da man ihn selbst geht. Weg ist hier in einem zusammengehörig zweifachen Sinn gebraucht, der sich im Vermögen der Wegführung vereint, Was Weg heißt, ist anzunehmen als der, den man als gewiesen gehen kann, und der, den man selbst geht, also der Lebensweg, dessen Führungsgestalt sich erst mit dem Selbst Gehen auszeichnet. Christlich ist darum der durch Jesus als Christus vorgezeichnete Weg eine Führungshaltung, die Wegweisung und Weg als Gang vereint. Das ihm Nachfolgen nimmt Christus als Person selbst als Weg und muß sich im Selbstgehen mit diesem identifizieren (Söhne in Christus). Mein Weg ist kein anderer als ich selbst in meinem Leben, als Lebensweg genommen und so als ein Ganzes beurteilbar. In diesem Sinne wurde das frühe Christentum oft einfach „der Weg“ genannt, so wie der Christus im Johannesevangelium von sich spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Der Weg ist ein geistiger, weil er die Erkenntnis des Führenden als Aufgabe in der Suche nach dem Rechten des eigenen Wegs ebenso einschließt, wie das Zusammenstimmen mit dem göttlichen Vorbild in der Beurteilung von Rechtheit für die gemeinschaftlich Auf dem Weg Seienden, die sich Sammelnden. Denn der Weg hat kein Ziel, das nicht Aufgabe wäre, auf dem Weg zu erkennen, so daß es der ursprünglich eigene sein kann. Das Führende als Weg ist nicht Regel, nicht Gesetz, sondern Gott selbst als sich uns in der Seele zusprechend. Ihr verbindet sich das „Höre Israel“ und die Geschichte von der Heilung des Blinden (Mk 10,46-52). Die Vernunft braucht im Geist ihrer Urteilskraft das Gedächtnis des Werks.

Das Monologion stellt sich uns dar als ein sich Besinnen auf die Wesenheit des Göttlichen (divinitatis essentia). Es verfährt unter dem Anspruch der Vernunft exemplarisch, will also allgemein mitvollziehbar sein und verbindet so in einer vorgreifenden Stellvertretung des Verfahrens ein begründendes mit einem maßgeblichen Verhalten. Als ratio fidei wird die ihr folgende Vernunft als Glaubensgehalt einsehbar werdende Wesenheit des Göttlichen selbst als Vernunft und Grund von Vernunft in seiner methodisch zu führenden Entsprechung gewahrt und zur Wahrung in geistiger Arbeit gegeben. Dies ist geistige Arbeit im Glauben, seine Mitarbeit im Weinberg des Geistes. Sie ist annehmbar mit Vernunft nur im Mitvollzug in der Übernahme der Gaben zur Einsicht als Aufgabe, in der das je eigene Einsichtsvermögen sich bildet und Kraft der Orientierung in der Seele für all ihre Kräfte und Vermögen sammelt, da sie sich ordnen.

Das Monologion gewinnt als Werk der reflektierenden Besinnung (meditatio) in seinem Grundverhältnis exemplarische Bedeutung, verfährt beispielhaft im vorbildlichen Sinne und stellvertretend durch die Vernunftüberlegung, die seine Entscheidungen in ihren Verknüpfungen ebenso führt, wie die Vernunft sich durch die Verflechtung des als Wesenheit des Göttlichen einsichtig Werdenden führen läßt. Durchgängig nachvollziehbar verfahrend nimmt die Vernunft (insbesondere) die Urteilskraft als reflektierende in den Anspruch ihrer Geltungsentscheidungen. Der Ideenverflechtung den Wesenheiten entspricht eine Verbindung von Vermögen unter Einheitsbedingungen und nur durch diese ist jene überhaupt annehmbar und als zugrundeliegend zu wahren.

Die Methode erfordert ein Mitdenken in vernünftiger Einsicht, das sie als Bildung je eigener Einsichtsvermögen maßgeblich ermöglicht. Sie folgt in diesem Ermöglichen selbst, wie es das spätere Proslogion noch einmal verdeutlicht, dem Liebesgebot im Gottesverhältnis, das Herz und Seele in all ihren Kräften mit seinem Aufruf in Anspruch nimmt und als der Liebe und Güte in Selbstgabe des Göttlichen entsprechend zugleich Zuversicht stiftet, daß die mit ihrer Bildung in der Selbsterkenntnis verbundene Gotteserkenntnis möglich wird. Gottes Wesen kann als maßgeblich im Grundverhältnis vom Ursprung der Seele her angenommen und erneuernd aufgenommen werden. Und so zeigen sich auch die an Monologion und Proslogion anschließenden Werke Anselms eingesenkt in die Gefolgschaft jenes Einsicht eröffnenden Gebots, das das Evangelium nach Matthäus aus dem Alten Bund (Dt 6,5) in dessen Erneuerung übernimmt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken.“ (Lk 10,27).

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1 Die Schriften Anselms werden nach der Edition und den Übersetzungen von F.S.Schmidt jeweils durch die Angaben der Kapitel zitiert: Monologion (=M) Stuttgart 1964, Proslogion (=P) und de veritate Stuttgart 1961.

2 vgl. Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden.

3 Prinzipien fordern als ursprüngliche Bestimmungsgründe das Verhalten zu Grund und zu Maß zu vereinigen. Darum hat die hier vorgenommene Aufschließung des Ursprungsverhaltens mit Anselm vom Monologion her nach Grund und Maß grundlegende Bedeutung für Metaphysik und Theologie als Prinzipien- und Gotteserkenntnis.

4 Kohlenberger, Helmut, Similitudo und Ratio München 1972, S. 38.

5 donec quaestionem, quam de animae origine mente resolvo, absolvere possem, gratiosus acciperem; eo quid nescio utrum aliquis eam me defuncto sit absoluturus. Eadmer, De Santci Anselmi archiepiscopi Cantuarensis, c. 66 (ed. Southern 141-143); Übersetzung: S. Feldhohn OSB, Siehe da bin ich. Das Zeugnis heiliger Väter und Mönche von der letzter Stunde, Düsseldorf 1964, 218f; PL., vol.159, col. 0049-0118A, col., 0115C)

6 Daß der Gedanke des „aus etwas“ immer eine Materie nahelegt, aus der etwas geworden sein kann, bereits bei Tertullian, Adversus Hermogenes, Tertullians sämtliche Schriften. Aus dem Lateinischen übersetzt von Karl Adam Heinrich Kellner. Köln 1882, 21. Cap.

7 de trin VI, 6,8. Dt. Übersetzung zitiert nach: Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus fünfzehn Bücher über die Dreieinigkeit / aus dem Lateinischen übers. und mit Einl. versehen von Michael Schmaus. Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 13-14, Kempten, München 1935.

8 vgl. dazu Robert Theis im Nachwort seiner Ausgabe des Proslogion, Stuttgart 2005, S 136. 

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